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Pflegekinderdienst - Erfahrungsberichte

Erfahrungsbericht 3: »Applaus, Applaus mein Herz geht auf«

Können Sie sich vorstellen einen Bericht über ihr Leben mit Pflegekindern zu schreiben? So lautete die Frage einer netten Stimme am Telefon. Ich wollte direkt absagen. Als ich länger darüber nachgedacht habe und mich zurückerinnerte an die Zeit, als wir unser Zuhause für Pflegekinder zu öffnen gewagt haben, wurde mir bewusst, dass es uns sicher geholfen hätte mehr authentische Erfahrungsberichte zu lesen, bevor wir uns auf diese unvergleichlich abenteuerliche Reise begeben haben. Also will ich mich trotz des vorweihnachtlichen Trubels im Haus zurückziehen und versuchen etwas zu Papier zu bringen…

Kennen sie noch den Song der Sportfreunde Stiller: Applaus, Applaus mein Herz geht auf?

Dieser Hit tönt immer wieder in verschiedensten Abwandlungen als Liebeserklärung durch unser Haus… Mein Herz geht wirklich sofort auf, wenn ich an unsere Kinder denke, sie sehe oder ganz besonders, wenn ich Zeit mit ihnen verbringen darf.

Ich bin seit 24 Jahren Mama und seit bereits 14 Jahren teilen wir unser Leben mit Pflegekindern. Zwei davon dürfen zur Dauerpflege hier groß werden. Unsere leiblichen erwachsenen Kinder haben das Haus bereits verlassen.

Sowohl das ältere als auch das jüngere Kind sind durch eine Alkohol- und Drogenschädigung im Mutterleib beeinträchtigt worden und werden voraussichtlich dadurch nie ein eigenständiges Leben führen können. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie sehr unser Leben sich auf die Kinder ausrichten muss, wie feste Strukturen, Wiederholungen, gleiche Abläufe und Spielsituationen den Kindern helfen, mit ihrem Leben klarzukommen.
Weniger ist mehr, wieder ein Slogan der zum Lebensmotto wurde - weniger Aktivitäten, weniger Worte, weniger Erwartungen usw.- die Kinder machten manchen Strich durch unsere zu hohen Erwartungen und Pläne und beschenkten uns dadurch mit Besinnung auf das Wesentliche, mit einer ganz neuen Wahrnehmung auf ihre und besonders auch auf unsere Bedürfnisse. Sätze, wie beispielsweise von einer Ärztin vor etlichen Jahren, die meinten, dass es vergebliche Liebesmühe wäre, den Kindern Muttergefühle anzubieten, motivierten mich eher zum Gegenteil.

Jedes Kind hat es verdient geliebt und angenommen zu werden. Wir alle wollen würdevoll behandelt und wertgeschätzt werden und nicht nur satt und sauber sein...

Sollten Sie darüber nachdenken ein Kind aufzunehmen, prüfen Sie ihre Motivation und checken Sie ab, ob sie wirklich 24/7 an 365 Tagen im Jahr ihr Leben nach den Bedürfnissen eines Kindes ausrichten wollen. Ein Kind, was nicht in die Kategorie Vorzeigekind passt und sie bestimmt mehr als einmal in peinliche Situationen bringen wird. Ein Kind, mit welchem sie auffallen werden. Ein Kind, mit dem sie nicht mal einfach Dinge erleben können, die andere Familien als selbstverständlich erleben. Bauen Sie sich ein gutes Netzwerk auf und vergewissern Sie sich, dass Sie eine Person sind, die bereit dazu ist Hilfe anzunehmen und sich auf Konflikte einlassen kann und gute Selbstfürsorge betreibt.
Hilfreich ist es auch, wenn man sich nicht scheut jedermann Frage und Antwort zu stehen, denn es kann durchaus sein, dass sich wildfremde Menschen in die Erziehung einmischen wollen bzw. nachfragen, weshalb, wieso und warum etwas so oder so gemacht wird.
Wochenenden und Urlaube dienen nicht selten zur Herausforderung und weniger zur
grundsätzlichen Erholung.

Das Zusammenleben mit unseren besonderen Kids ist eine sehr große Bereicherung und erfüllende Lebensaufgabe, die mich sowohl sehr fordert wie auch beschenkt.
Viele Entwicklungsschritte übertrafen jegliche Prognosen und bestätigten unseren Ansatz der Bindungstheorie und deren Ausführung. Wir begleiten unsere Zwei uns anvertrauten Kinder total gerne und schätzen es sehr dies tun zu dürfen.